Frei Otto: Olympiastadion München

Es ist schon traurig: Einen Tag vor der Bekanntgabe, dass Frei Otto den Pritzker-Preis erhält, ist der deutsche Architekt gestorben.

Olympiastadion und -park Muenchen ©susannegurschlerSchade, sehr schade, gilt der Pritzker-Preis doch als Architekturnobelpreis.
Frei Otto zählt zu jenen international bekannten Architekten, die selbst wenig gebaut haben, deren Einfluss aber enorm ist. Er zeichnet für eines der imposantesten – und bekanntesten – Bauwerke Deutschlands (mit-) verantwortlich: das Olympiastadion in München, gebaut zusammen mit dem Architekturbüro Behnisch und dem Ingenieurbüro Leonhardt in den Jahren 1968 bis 1972.

Die riesige Dachhaut, die sich wie ein schwebendes Spinnennetz über die Sportstätten zieht, geht auf die Dachkonstruktion Frei Ottos für den Deutschen Pavillon bei der Expo 1967 in Montreal zurück.

Olympiastadion Muenchen ©susannegurschlerFür mich ist das Dach im Olympiapark in München das faszinierendste Bauwerk, das ich kenne. Nicht, weil es eine wirklich außergewöhnliche Form hat, nicht, weil es spektakulär ist, auch nicht, weil es einzigartig, weil es epochal ist. Das alles ist es, ohne Zweifel! Für mich ist es eines der faszinierendsten Bauwerke wegen seiner unmittelbaren Wirkung, seiner sinnlichen, seiner emotionalen Zugänglichkeit.

Diese Seilnetz-Membran-Konstruktion ist geschlossen und offen zugleich, filigran und robust, ein Meisterwerk der Technik, das einen sofort an Vorbilder in der Natur denken lässt, an Spinnennetze zum Beispiel, an Schlangenhäute.

Detail Olympiastadion München ©susannegurschlerAls ich das erste Mal durch den Olympiapark spazierte, konnte ich mich nicht sattsehen an dieser überdimensionalen Skulptur, die sich immer wieder anders präsentiert, diesem gigantischen Werk aus Stahl und Acrylglasplatten, aus Gewinden, Netz- und Zugseilen, aus Masten und Pfeilern, das so mächtig und kraftvoll wirkt und zugleich so zart, als würde jemand ein Seidentuch an verschiedenen Stellen hochheben.

Ein unglaublich elementares Erlebnis: ein Raum, gleichzeitig luftig und beschützend, radikal technisch und zugleich organisch, fast lebendig, kompakt und durchscheinend. Ein gigantisches Zeltdach so zart wie ein Hauch.
Man spürt sofort, ohne auch nur einen Gedanken an architektonische Aussage, an Stil und dergleichen zu verschwenden: Das ist ein Meisterwerk, das ist Baukunst. Und genau das macht für mich dieses Olympiagelände so besonders. Ungeheuer eindrücklich – einfach perfekt.

Frei Otto soll die Nachricht, dass er den Pritzker-Preis bekommt, noch erhalten haben, bevor er starb. Ich weiß nicht, ob er sich gefreut hat. Ich freue mich sehr.

Olympiastadion Muenchen ©susannegurschlerAlle Fotos: ©susannegurschler

 

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