Erinnerung an: Innsbruck International 2020 –

Facebook erinnerte mich heute an eine Veranstaltung, die ich vor fünf Jahren bei Innsbruck International – The Biennial of Art besucht habe. Und diese erinnerte mich an die letztjährige Ausgabe von Innsbruck International. Die Eröffnung fand am 7. März 2020 statt.

Sie fiel in eine bis dahin so nicht gekannte und nicht erahnte Zeit der Schwebe, der Ausnahme und der Einschränkungen: Die Corona-Pandemie war kurz davor ausgebrochen. Der erste Lockdown war im Gespräch. Das Thema der Biennale „Human Capital“ passte erschreckend gut in diese unwirklichen Wochen.

Es gab Beiträge, die spiegelten das, was gerade passierte, was im Anrollen war, so unglaublich intensiv und nah, dass ich Gänsehaut bekam. Mein damaliger Beitrag über Innsbruck International, der fixfertig im Dashboard von Blog Innsbruck stand, erschien nicht mehr: Am 15. März 2020 verhängte die Regierung einen „harten Lockdown“. Dem ersten von mehreren, die dann als soft bezeichnet wurden.
Ein Jahr also darben wir schon – auch und insbesondere kulturell! Zur Erinnerung stelle ich den damaligen Blogbeitrag online.

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Innsbruck International 2020 – Human Capital

International – Biennial of the Arts gehört gewissermaßen zu den Fixstartern in meinem Kulturkalender. Das Besondere an der alle zwei Jahre stattfindende Schau zeitgenössischer Kunst: Sie bespielt mehrere – und auch sehr ungewöhnliche – Orte in der Stadt. Heuer steht Innsbruck International unter dem Motto Human Capital. Damit schließt sie an 2018 an, als das Thema Agents of Social Change im Fokus stand.

Innsbruck International – Human Capital

Im Zentrum also das Humankapital, als das der Mensch im digitalen Zeitalter gerne bezeichnet wird. Damit wird er zur Ressource, zum abstrakten und entindividualisierten Gebilde.

Kurator Chris Clarke und Tereza Kotyk, Leiterin Innsbruck International – Biennial of the Arts, vor dem Welcome-Center neben dem Tiroler Landestheater

Bei Innsbruck International geht es um die Möglichkeiten, die Individuen in der heutigen Zeit haben. In einer Zeit, in der Klicks und Likes gern mehr wert sind, als die persönliche Begegnung, in der Fake News oft nicht mehr von realen zu unterscheiden sind. Die Grenzen zwischen Arbeitswelt und Privatleben verschwimmen zusehends, die Überwachung des öffentlichen Raums nimmt zu. Zur Diskussion stehen die Beschneidung der Persönlichkeitsrechte und Menschenrechtsverletzungen.
Ein spannendes Thema also wieder, das mich durch die Stadt und an die verschiedenen Veranstaltungsorte leitet. Ich mag es, Kunst mit einem schönen Stadtspaziergang zu verbinden.

Human Capital lautet das Motto der Biennale 2020

Und so schaut er aus: Meine Tour führt mich vom Welcome-Center im Glaskubus in den Musikpavillon im Hofgarten. Von dort geht es weiter in die Galerie A4 neben dem Treibhaus. Dann springe ich in den Bus, fahre in die Bachlechnerstraße (IVB-Tickets finden sich im Ausstellungskatalog!) und wieder retour, um abschließend zum Servitenkloster in der Maria-Theresien-Straße zu spazieren.

Intensiver Auftakt im Glaskubus

Im Welcome-Center neben dem Landestheater geht es schon hochkarätig los mit einer Kunstinstallation der in Sarajewo geborenen Nada Prlja. Auf einer Reihe von Holzstühlen sind Zitate der deutschen Autorin Carolin Emcke gelasert. Sie stammen aus deren Essay „Gegen den Hass“. Dahinter liegen und hängen beschädigte Transparente – Überbleibsel von Demos.

How Can They Be So Sure of Themselves? – Installation von Nada Prlja im Welcome-Center

„Stop the War against Immigrants“ heißt diese Arbeit, die Fragen aufwirft. Sind sie nach einer Demo zurückgeblieben? Wurde die Demo gewaltsam aufgelöst? Was bleibt vom Protest, von einem Protest? Was bewirkt er? Bewirkt er was?
Daneben an der Wand finden sich „Cinématons“, Kurzfilme von Guillermo Tellechea. Die Schauspielerin Teresa Waas, der Künstler Martin Gostner und der Komponist Thomas Larcher nehmen an einem Ort ihrer Wahl für genau 200 Sekunden eine statische Position ein, geben so Einblicke in ihre Persönlichkeit – die „Cinématons“ sind Biennale-Bestandteil seit 2013.

Stop the War against Immigrants, Installation von Nadja Prlja im Welcome-Center

Dazu die Arbeit „Wir erinnern uns nicht“ von Felix Gonzalez-Torres und im oberen Stock des Kubus der Film „Monument of arrival and return“ von Basir Mahmood. Auf dem Weg zum Pavillon lasse ich die intensiven Eindrücke auf mich wirken, um dort eine Klanginstallation zu erleben, die mich im wahrsten Sinne des Wortes verzaubert.

Nachtgedanken im Pavillon

Im wunderbar atmosphärischen Raum, mit den im Zuge der Restaurierung freigelegten floralen Motiven im Pavillon des Hofgartens, lausche ich dem Hörspiel „Nacht“ der in Beirut geborenen Schriftstellerin, Malerin und Philosophin Etel Adnan, musikalisch hinterlegt von der deutschen Komponistin Ulrike Haage.

Nacht, ein Hörspiel von Etel Adnan und Ulrike Haage, im Musikpavillon des Hofgartens

„Ich liebe die Nacht. Die Nacht löscht alles aus, was du nicht sehen willst“, heißt es im Text und ich blicke durch die großen Fenster auf die alten, majestätischen Bäume im Hofgarten und stelle mir vor, es wäre Nacht: „Ich bitte euch, heute Nacht nicht zu schlafen. Setzt euch an den Fluss und lauscht.“

Grenzüberschreitungen in der Galerie A4

Und beim Flanieren Richtung Angerzellgasse wieder genügend Zeit, dem Gehörten nachzulauschen, steige ich die Stufen zur Galerie A4 hinab, um mir zwei Videoarbeiten der schwedischen Künstlerin Cecilia Stenbom anzusehen. Sie befassen sich mit Verhaltensmustern, mit gesellschaftlichen Codes und Normen – und deren Verletzung.

System, Film von Cecilia Stenbom, in der Galerie A4, Angerzellgasse

In „Rules of Engagement“ zum Beispiel geht es um das Überschreiten von ungeschriebenen Gesetzen in einem gesellschaftlichen Umfeld. Anhand von uns allen bekannten Situationen zeigt die Künstlerin, wie rigide Konventionen erfahren werden können, wenn man sich nicht daran hält. Die Protagonisten durchbrechen Regeln, teils bewusst, teils unbewusst.

Steve McQueen im Baumarkt

Eindrücklich auch das Setting in der Bachlechnerstraße, die bequem mit Öffis zu erreichen ist. In der leergeräumten Verkaufshalle eines ehemaligen Baumarkts läuft „End Credits“ von Steve McQueen. Der britische Regisseur und Künstler arbeitet das tausende Seiten umfassende Dossier auf, das der amerikanische Geheimdienst über den Schauspieler, Musiker, Sportler und Bürgerrechtler Paul Robeson (1898-1976) angelegt hat. Robeson wurde ab den 1940er Jahren lückenlos überwacht. In den 1950ern entzogen ihm die amerikanischen Behörden den Pass.

End Credits, ein Langzeitprojekt von Steve McQueen, in der Bachlechnerstraße 42

Die Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit hatte massive Auswirkungen, Jobangebote blieben aus. Seine Schallplatten wurden nicht mehr verkauft, seine Lieder nicht mehr gespielt. Der Staat hat Robesons Existenz vernichtet. Er starb, um sein Leben gebracht, fast vergessen und verarmt. Als Kooperationspartner unterstützt Innsbruck International das Langzeitprojekt des Künstlers, die gesamten Akten einzuscannen und von Schauspielern lesen zu lassen.
Wie ein endloses Band steigen die Scans vor dem Betrachter aus dem Boden und verschwinden in der Decke. Quasi in einer Endlosschleife spiegelt sich dieses vollkommene Ausleuchten des Lebens von Robeson.

Gagarin im Servitenkloster

Zum Abschluss meines intensiven Kunstparcours betrete ich in die Servitenkirche in der Maria-Theresien-Straße. Im Kreuzgang tauche ich erneut in einen Text von Etel Adnan ein, in die Musik von Ulrike Haage. Mit Kopfhörern schreite ich den langen Gang auf und ab, im Ohr das Hörspiel „A Funeral March for the First Cosmonaut“. Es ist dem russischen Astronauten Juri Gagarin gewidmet, der 1968 verunglückte. Ein dichtes Gewebe aus Textund Musik lässt mich in eine andere Welt abdriften. Was für ein eindrücklicher, bewegender Abschluss eines inspirierenden Kunstspaziergangs durch Innsbruck!

Lines in Blue, Serie von Isaac Chong Wai, zu sehen im Kesselhaus, Karmelitergasse

Es gibt natürlich noch mehr Orte, und noch viel mehr Kunst zu entdecken – dazu Performances, Filmvorführungen und Konzerte!

Einfach die App „Innsbruck International“ runterladen. Dort sind die Infos zu Tickets, Spielstätten und Veranstaltungen übersichtlich dargestellt. All das gibt’s natürlich auch im Welcome-Center: dem Glaskubus beim Tiroler Landestheater.

Aus aktuellem Anlass – Erlass zur Eindämmung des Coronavirus – folgende Ergänzung:

Die Veranstalter sind auf die aktuelle Situation bestens vorbereitet. Die Ausstellungsorte sind mit Hygienehandtüchern ausgestattet, die Aufsichtspersonen informieren über die aktuellen Auflagen und die Besucherzahl bei den Events ist auf unter 100 Personen limitiert. Innsbruck International hält die Türen offen! Alle Veranstaltungen finden statt! (Stand 13.03.2020) Und die Wege zwischen den Events und Ausstellungen sorgen für eine gute Portion Frischluft.

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Angesichts dessen, was noch folgen sollte, muss ich schmunzeln über den letzten Absatz. ABER, es gibt eine gute Nachricht, eine wirklich gute zum Abschluss der Erinnerung. Innsbruck International – The Biennial of Arts findet 2022 wieder statt – und zwar vom 7. bis zum 22. Mai. Datum ist eingetragen!

 

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